Melde- und Beratungsstellen warnen: Haushaltssperre der Bundesregierung gefährdet Kampf gegen Antisemitismus

Berlin (12.12.2023) Die fehlende Einigung auf den Bundeshaushalt 2024 bedroht die Demokratieförderung und den Kampf gegen Antisemitismus. Inmitten eines enormen Anstiegs von Antisemitismus würden wichtige Anlaufstellen ausfallen, wie Vertreter_innen von drei zivilgesellschaftlichen Verbänden am Dienstag warnten. Sie fordern die Bundesregierung auf, den Kahlschlag der Unterstützungsstruktur für Betroffene von Antisemitismus zu verhindern.

Die Mitteilung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), für 2024 weder Förderzusagen noch Bescheide für einen vorzeitigen Maßnahmenbeginn auszustellen, bedeutet für Projekte zu Prävention, Dokumentation und Beratung die Einstellung ihrer Tätigkeit zum 1. Januar 2024. Davor warnten der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (Bundesverband RIAS)*, die Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung OFEK e. V. und der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e. V. (VBRG) am Dienstag in einem offenen Brief an die Bundesregierung. Der offene Brief kann unter https://report-antisemitism.de/documents/23-12-12-OFEK_RIAS_VBRG-offenerBriefHaushaltssperre.pdf eingesehen werden.

Die Ausgabensperre der Bundesregierung gefährdet die Existenz zivilgesellschaftlicher Organisationen und Verbände, die sich zum Teil seit mehr als zwei Jahrzehnten für Demokratie und gegen Antisemitismus und Rassismus einsetzen. Zahlreiche geschulte und hochprofessionelle Fachkräfte müssen beim Ausbleiben eines vorzeitigen Maßnahmenbeginns in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Für Betroffene von Antisemitismus hat dies unmittelbare Konsequenzen: Unterstützung von Ratsuchenden nach antisemitischen Vorfällen, Begleitung in strafrechtlichen und zivilrechtlichen Verfahren, systematische Dokumentation des Antisemitismus in Deutschland, Sensibilisierung der Öffentlichkeit sowie der Sicherheitsbehörden und Verwaltung wären nicht mehr gewährleistet.

Der Bundesverband RIAS, OFEK, und der VBRG, halten die Haushaltssperre beim BMFSFJ-Förderprogramm „Demokratie leben!“ gerade in der derzeitigen Situation für ein fatales Signal. Sie appellieren an die Bundesregierung, die notwendigen Mittel bereitzustellen, damit die Arbeit der Projekte nicht unterbrochen werden muss: Konkret muss die Bundesregierung hierfür den Zuwendungsempfänger_innen des Bundesprogramms einen vorzeitigen Maßnahmenbeginn zum 1. Januar 2024 gewähren, um die Unterbrechung ihrer Arbeit zu verhindern.

Seit dem terroristischen Überfall und Massakern der Hamas in Israel am 7. Oktober gibt es einen sprunghaften Anstieg antisemitischer Vorfälle in ganz Deutschland. Der Bundesverband RIAS e.V. dokumentierte zwischen dem 7. Oktober und 9. November 2023 eine Vervierfachung antisemitischer Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr. OFEK e.V. verzeichnete allein im ersten Monat nach den Massakern die Verzwölffachung der Beratungsanfragen im Vergleich zu Vorjahren. Bei vielen Beratungsfällen geht es um eine mehrfache Belastung durch den Terror in Israel und die Zuspitzung der antisemitischen Vorfälle in Deutschland. Überlebende von Terroranschlägen wie dem Anschlag von Halle sowie zahlreiche weitere Betroffene antisemitischer Gewalt, die in laufenden Hauptverhandlungen vor Gericht sowie straf- und zivilrechtlichen Verfahren von den Opferberatungsstellen im VBRG e.V. und von OFEK begleitet werden, haben akute Unterstützungsanfragen formuliert.

Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Pressestellen von:

Stimmen zur Veröffentlichung:

Marina ChernivskyGeschäftsführerin Beratungsstelle OFEK e. V. / Kompetenzzentrum für antisemitismuskritische Bildung und Forschung

„Aktuell erleben wir eine neue Qualität antisemitischer Gewalt in allen sozialen Sphären. Die multiplen Auswirkungen der Terrorangriffe auf die jüdische und israelische Community werden verstärkt durch die Erfahrung und Antizipation antisemitischer Übergriffe hier in Deutschland. Sowohl die vielen Ratsuchenden als auch die Beratenden spüren diese mehrfache Belastung in ihrem Alltag. Die Haushaltssperre zwingt uns dazu, unsere Arbeit einzustellen. Professionelle Unterstützung von Betroffenen und ratsuchenden Organisationen in akuten Lagen setzt Kontinuität und Planungssicherheit voraus. Das mühsam und langwierig aufgebaute Vertrauen zu den Betroffenen-Communities droht dadurch verloren zu gehen.“

Heike KleffnerGeschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) e. V.

„Zahlreiche Betroffene antisemitischer Gewalt und Überlebende des antisemitisch motivierten Attentats auf die Synagoge in Halle vertrauen darauf, dass sie weiterhin durch dieOpferberatungsstellen im VBRG e.V. unterstützt und beraten werden. Das drohende Aus zum 1. Januar 2024 betrifft Ratsuchende und Berater*innen existenziell.“

Benjamin SteinitzGeschäftsführer des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Bundesverband RIAS) e. V.

„Wenn die Bundesregierung in den kommenden Tagen keine Klarheit für das Förderprogramm „Demokratie Leben!“ schafft, wird die Arbeit von Melde- und Beratungsstrukturen massiven Schaden nehmen: Die vertrauensvolle und community-nahe Dokumentation antisemitischer Vorfälle wird unterbrochen. Herr Bundeskanzler Scholz, Sie müssen Ihren Worten jetzt auch Taten folgen lassen und die zivilgesellschaftlichen Angebote für Betroffene und Zeug_innen von Antisemitismus absichern!“

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