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"Gefährliche Orte" abschaffen

Biplab Basu über Racial Profiling in der Stadt und Auswirkungen für die Betroffenen

Interview: Katharina Schoenes

Im Juni haben die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) und weitere Berliner Initiativen gegen Rassismus und Verdrängung die Kampagne »Ban! Racial Profiling. Gefährliche Orte abschaffen« initiiert. Sie soll die Berliner Regierung an ihr Vorhaben erinnern, Racial Profiling per Gesetz zu verbieten. Geplant sind Aktionen an »kriminalitätsbelasteten Orten«, außerdem soll eine Unterschriftensammlung dem Abgeordnetenhaus übergeben und ein Rechtsgutachten zur Verfassungswidrigkeit der Sonderbefugnisse präsentiert werden. Biplab Basu ist seit der Gründung von KOP 2002 bei der Kampagne aktiv.

Der Berliner Senat hat vor Kurzem eine Liste der sogenannten kriminalitätsbelasteten Orte veröffentlicht. Die Kampagne »Ban! Racial Profiling« fordert nun deren Abschaffung. Was ist der Hintergrund der Forderung?

Seit 1992 hat die Berliner Polizei die Möglichkeit, bestimmte Gebiete als »gefährliche« beziehungsweise »kriminalitätsbelastete Orte« zu definieren. An diesen Orten dürfen nach den Paragraphen 21, 34 und 35 im Berliner Polizeigesetz Polizeibeamte ohne konkreten Straftatverdacht Personen anhalten, deren Identität feststellen und sie durchsuchen – nur weil sie sich dort aufhalten. Als Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt kritisieren wir diese Sonderbefugnisse der Polizei schon seit Langem: Immer wieder erreichen uns Berichte von Schwarzen Menschen und anderen sichtbaren Minderheiten, die an »kriminalitätsbelasteten Orten« Racial Profiling durch die Berliner Polizei erleben. Die Abschaffung der Sonderbefugnisse wäre ein erster Schritt, die rassistische Polizeipraxis zu bekämpfen.

Welche Auswirkungen hat Racial Profiling für Betroffene?

Viele denken, es geht dabei nur um eine harmlose Passkontrolle, aber das stimmt nicht. Häufig eskalieren die Kontrollen, weil die Menschen nicht verstehen, warum sie kontrolliert werden und die Polizeimaßnahmen infrage stellen. Dann kann es zu gewaltsamen Festnahmen, Misshandlungen und Übergriffen kommen. Weil eine Kontrolle in der Öffentlichkeit demütigend und erniedrigend ist, leiden Betroffene zudem sehr lange unter den psychischen Folgen. Sie fragen sich immer wieder: Was habe ich gemacht, dass ich in der Öffentlichkeit meine Schuhe ausziehen musste? Warum musste ich meinen Ausweis zeigen?

Die Berliner Polizeiführung behauptet, die Befugnis zu anlass- und verdachtslosen Kontrollen helfe, vorbeugend Straftaten zu verhindern, und erhöhe damit langfristig die Sicherheit der Bürger. Warum stimmt diese Einschätzung nicht?

Ich halte das für Humbug. Jeder Polizeibeamte weiß, dass die Straftaten, die an den »gefährlichen Orten« verhindert werden sollen, nicht bekämpfbar sind. Diese Kleinkriminalität, die sie als große Drogenkriminalität darstellen, ist in einer Metropole nicht bekämpfbar. Entgegen der Behauptungen der Polizei geht es bei den verdachtsunabhängigen Kontrollen nicht um eine Verhinderung von Straftaten, sondern darum, Schwarze Menschen und andere sichtbare Minderheiten zu kriminalisieren. Es wird der Eindruck erzeugt, dass »die Anderen« besonders kriminell seien und daher durch vermehrte Kontrollen in Schach gehalten werden müssen. Mit ihrer Praxis sendet die Polizei auch eine Botschaft an die weiße Mehrheitsbevölkerung: Schaut her, wir sind eure Verbündeten, wir sorgen für eure Sicherheit und beschützen euch vor den gefährlichen Anderen. Diese permanente Reproduktion der Vorstellung, dass zwei Gruppen – ein Wir und die Anderen – existieren, macht Racial Profiling so schädlich. Wenn die Polizei wirklich Kriminalität bekämpfen möchte, soll sie so arbeiten, wie es im Lehrbuch steht: Menschen anlass- und verdachtsabhängig kontrollieren, also dann, wenn ein konkreter Straftatverdacht besteht.

Im »Neuen Deutschland« wurde der Pressesprecher der Berliner Polizei Winfrid Wenzel kürzlich mit folgender Aussage zitiert: Es sei »absurd und weltfremd, zum Beispiel im Hinblick auf den Görlitzer Park auf alle fünf kontrollierten Schwarzafrikaner je fünf blonde Norweger zu kontrollieren, um hier gleichbehandelnd aufzutreten«. Die Polizei habe Kenntnis über Täterklientel, Netzwerke und bereits verurteilte Straftäter, die sich an diesen Orten aufhalten würden. Wie kommt dieses »Wissen« zustande?

Polizisten sagen, dass sie sich an ihren sogenannten Lageerkenntnissen und ihrem Erfahrungswissen orientieren. Beides müssen sie aber weder gegenüber der Öffentlichkeit noch gegenüber dem Parlament belegen und rechtfertigen. Die Rechenschaftspflicht und Verantwortlichkeit einzelner Polizisten ist bei den verdachtsunabhängigen Kontrollen praktisch ausgehebelt. Sie können willkürlich entscheiden und das öffnet rassistischen Maßnahmen Tür und Tor: Weil einige Schwarze Personen verurteilt wurden, werden alle Schwarzen Menschen unter Generalverdacht gestellt. In dem, was der Polizeisprecher sagt, steckt aber noch eine weitere Botschaft: Er sagt, er kenne Schwarze Menschen, die Straftaten begangen haben und sich wiederholt an »kriminalitätsbelasteten Orten« aufhalten. Diese Menschen, die einmal verurteilt wurden, werden offenbar ihr ganzes Leben lang als Straftäter angesehen, nach dem Motto: Sie haben einmal gegen das Gesetz verstoßen, daher werden sie es immer wieder tun. Wir haben es hier mit einer Exekutive zu tun, die sich über rechtsstaatliche Prinzipien leichtfertig hinwegsetzt. Das ist die Ideologie der Polizei. Sie verläuft genau diametral zu demokratischen Grundsätzen.

Lange haben deutsche Politiker_innen die Existenz von Racial Profiling geleugnet. Nun hat sich der rot-rot-grüne Senat in Berlin immerhin vorgenommen, gegen Racial Profiling vorzugehen. Ist das schon als Erfolg zu werten?

Ja, das ist ein Erfolg. Nur denke ich, dass eine verbale Verurteilung von Racial Profiling nicht ausreicht. Auch eine Bekanntgabe von zehn Orten geht nicht weit genug. Wenn der Senat Racial Profiling tatsächlich unterbinden will, dann muss er konkrete Maßnahmen treffen. Und eine erste Maßnahme wäre die Abschaffung der Sonderbefugnisse. Solange die Polizei nicht sicherstellen und beweisen kann, dass Racial Profiling in ihrer Arbeit keine Rolle spielt, muss die Politik ihr die Befugnis der verdachtsunabhängigen Kontrollen aus der Hand nehmen.

Beim Thema rassistische Zugkontrollen der Bundespolizei gab es mittlerweile einige juristische Erfolge. Wie wirkt sich das auf die polizeiliche Praxis aus?

Gerichtsurteile – insbesondere der obersten Gerichte – helfen natürlich Menschen und die Polizei muss dadurch ihre Praxis ändern. Aber das ist noch zu wenig. Langfristig muss es darum gehen, der Polizei ihre Sonderbefugnisse wegzunehmen. Das bedeutet nicht, dass Racial Profiling sofort aufhört, aber das ist der erste Schritt. Ich befürchte jedoch, dass die Bundesregierung auf Bundesebene Widerstand leisten wird, solange es geht.

Wie sieht die Situation in anderen Bundesländern aus?

In fast allen Bundesländern gibt es vergleichbare Regelungen. Die Bezeichnungen sind unterschiedlich – manche Länder sprechen von Gefahrengebieten. Aber unabhängig davon, wie die Orte genannt werden, haben alle eines gemeinsam: Polizeibeamte haben die Befugnis, Menschen anlass- und verdachtsunabhängig zu kontrollieren. Wir hoffen, dass Initiativen und Organisationen in anderen Bundesländern unsere Kampagne aufgreifen und sich auch dort gegen die Sonderinstrumente der Polizei wenden.

Momentan wird sehr offen über Polizeigewalt diskutiert – Anlass sind die massiven polizeilichen Übergriffe während des G20-Gipfels in Hamburg. Wie bewertest du diese Diskussion vor dem Hintergrund rassistischer Polizeigewalt?

Zu Recht reagiert die linke und linksliberale Öffentlichkeit mit großer Empörung auf die Gewalt der Polizei in Hamburg, die sich nicht nur gegen linke Aktivisten, sondern auch gegen Anwohner und Journalisten richtete. Es ist keineswegs meine Absicht, diese massive Gewalt zu relativieren. Trotzdem möchte ich auf einen Unterschied hinweisen: Schwarze Menschen, Roma und Migranten erleben jeden Tag Polizeigewalt. Es ist keine nackte Gewalt, wie wir sie in Hamburg gesehen haben, sondern es sind alltägliche Formen der Erniedrigung, Dämonisierung und Kriminalisierung, die die betroffenen Menschen psychisch kaputt machen. Im Gegensatz zu den Geschehnissen während des G20-Gipfels, die als Angriff auf die Bürgerrechte und die Demokratie skandalisiert werden, gibt es bei alltäglicher rassistischer Polizeigewalt meist keinen Aufschrei. Wenn es die Anderen sind, die von der Polizei schikaniert werden, haben die Menschen Mitleid, aber es wird nicht als Angriff auf die Gesellschaft und die Grundlagen unseres Zusammenlebens verstanden. Es gibt noch einen weiteren Unterschied: Weiße Menschen werden auf diese brutale Weise von der Polizei angegriffen, weil sie gegen das System kämpfen. Bei Schwarzen Menschen ist die Situation eine vollkommen andere: Egal, wie sie sich verhalten, schon ihre bloße Anwesenheit wird als Provokation wahrgenommen. Diese Unterschiede sind wichtig. Es wäre aber falsch, die unterschiedlichen Formen von Polizeigewalt zu hierarchisieren und zu behaupten, eine sei schlimmer als die andere. Vielmehr denke ich, dass die Debatte über die Geschehnisse in Hamburg eine Chance für eine breitere Thematisierung der permanenten und alltäglichen Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen sein kann

Biplab Basu - arbeitet bei ReachOut, einer Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. 2002 war er Mitbegründer der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP).

(erschienen in ak 629, 15.08.17, S. 11)

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Interview: Sebastian Friedrich

Nach der Silvesternacht in Köln häufen sich die Berichte von Menschen, die der Polizei Rassismus vorwerfen. Wir sprachen dazu mit Biplab Basu. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema und berät Betroffene rassistisch motivierter Polizeikontrollen.

Wie beurteilst du den Polizeieinsatz in Köln?

Biplab Basu: Das war purer Rassismus, nichts anderes als Racial Profiling. Die Polizei hat Menschen aufgrund von Merkmalen wie Hautfarbe, Haarfarbe, Kleidung, religiöser Symbole oder Sprache kontrolliert....

weiterlesen in ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis Nr. 623

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